geb. 09.04.1876 in Strasbourg (Straßburg), gest. 09.11.1966 in Ithaca (New York)
Bethe, Dr. Albrecht (geschieden)
Kuhn, Amalie, geb. Seligmann
Kuhn, Dr. Abraham
Bethe, Hans Albrecht
Schriftstellerin
Gunzenbachstraße 27
Am 6. Juni 1939 Emigration in die USA
Auswanderung in die USA im Januar 1939 beantragt, im Februar des Jahres genehmigt. Am 6. Juni 1939 bestieg Anna Bethe in Bremen das Auswandererschiff in die USA, wo sie sich in Ithaca, New York, niederließ.
Lebenslauf für die Beantragung eines Reisepasses, Januar 1939
"Lebenslauf
Ich, Anna Kuhn, bin geboren im Jahre 1876 am 9. April im Elsass. Mein Vater, Dr. Abraham Kuhn, israelitischer Konfession, war geboren am 20. Dezember des Jahres 1847 zu Karlsruhe in Baden. Von meinem siebenten Jahre an besuchte ich die Privatschule des Herrn Kugelmann in Straßburg. Später erhielt ich Privatunterricht. Im Städtischen Konservatorium zu Straßburg, das von Professor Julius Stockhausen geleitet wurde, bin ich in Musik ausgebildet worden.
Im Jahre 1900, am 10. Oktober, verheiratete ich mich mit Albrecht Bethe, geboren am 25. April des Jahres 1872 zu Stettin, Dr. und Privatdozent der Kaiser-Wilhelm-Universität zu Straßburg. Aus unserer Ehe entstammt Hans Albrecht Bethe, geboren am 8. Juli des Jahres 1906.
Unsere Ehe ist am 2. Juli des Jahres 1927 geschieden und mein Mann als der schuldige Teil erkannt worden.
Hans Albrecht Bethe ist im Jahre 1933 nach England ausgewandert. In England erhielt er im Herbst 1934 einen Ruf an die University Ithaca (Staat New York) als Assistant Professor, dem er im Februar 1935 Folge leistete. Im Mai 1936 ist er an der gleichen University zum full Professor ernannt worden. Auf seinen Wunsch beantrage ich meine Auswanderung, da ich zu ihm ziehen will."
"Lebenslauf 1958:
Ich, die Unterzeichnete, Frau Anna Bethe-Kuhn, geboren am 9. April 1876, in Straßburg im Elsass, früher wohnhaft in Baden-Baden, Gunzenbachstraße 27, jetzt wohnhaft bei Michel, Crydera Point, Whitestone 57, Long Island, New York, USA, erkläre nach Belehrung über die Bedeutung einer eidesstattlichen Versicherung und die Folgen falscher Angaben, folgendes an Eidesstatt:
Meine Eltern waren Abraham Kuhn, Professor für Ohrenheilkunde an der Universität Straßburg, und Amalie Kuhn, geb. Seligmann.
Ich wurde privat unterrichtet bis zu meinem 14. Lebensjahr. Danach ging ich auf das Konservatorium Straßburg und erhielt eine vollständige Ausbildung für Geige und Gesang. Ich habe von dieser Ausbildung nur privaten, keinen beruflichen Gebrauch gemacht.
Am 10. Oktober 1900 heiratete ich Dr. Albrecht Bethe, damals Privatdozent in Straßburg, später Professor für Physiologie an den Universitäten Kiel (1912-1915) und Frankfurt am Main (1915-1938, 38-45 zwangsweise emeritiert, dann wieder amtlich tätig bis 1948). Meine Ehe wurde am 8. Juli 1927 am Landgericht Frankfurt/Main geschieden.
Ich habe einen Sohn, Hans Albrecht Bethe, geb. am 2. Juli 1906 in Straßburg; aus Deutschland ausgewandert im September 1933; seit 1935 Professor für Physik an der Cornwell Universität Ithaca, N.Y., USA.
Schon vor, aber besonders nach meiner Scheidung war ich häufig krank und verbrachte jedes Jahr mehrere Monate in einem Sanatorium. In Baden-Baden, wohin ich nach meiner Scheidung zog, war ich unter ständiger ärztlicher Aufsicht. Wegen meiner körperlichen Schwächen bereitete die Auswanderung besondere Schwierigkeiten und es war notwendig, alle Fahrten, wie zum Beispiel die zum Konsulat nach Stuttgart und zum Pfandhaus in Karlsruhe (zwecks Ablieferung von Schmuck und Silber) in einem Mietauto vorzunehmen.
Mein Beruf in Deutschland war Schriftstellerin. Ich habe von 1891 an publiziert: von 1891 bis 1898 erschienen häufig Beiträge von mir im Feuilleton der "Straßburger Post". Später schrieb ich hauptsächlich Märchen. Eines meiner Märchen gewann einen der 30 Preise (unter mehreren tausend Bewerbern) im Preisausschreiben der "Woche" 1904. Im Jahre 1905 veröffentlichte ich ein Märchenbuch (Verlag Rudolf Beust, Straßburg). Das Einkommen von all dieser Tätigkeit war gering.
Im Jahre 1918 begann ich Märchenspiele für Theater zu schreiben. Eines davon, "Das Neugierige Sternlein", wurde an etwa 60 deutschen Bühnen als Weihnachtsstück für Kinder aufgeführt. Ein erheblicher Teil dieser Aufführungen fand während der Inflationszeit statt, aber auch nach dieser Zeit erfreute das Stück sich einer stetigen Beliebtheit und brachte mir die in meinem Hauptbuch verzeichneten Einnahmen.
Im Jahre 1934 wurde ich aus der Reichsschrifttumskammer wegen nicht-arischer Abstammung ausgeschlossen und die Aufführungen meines Stückes kamen damit zu Ende. Ich würde schätzen, dass das Stück andernfalls noch etwa zehn Jahre eine Durchschnittseinnahme von 1000 RM jährlich gebracht haben würde. Diese Annahme ist dadurch bestärkt, dass das Stück auch nach dem Krieg wiederaufgeführt worden ist. Mehrere andere meiner Stücke wurden ebenfalls aufgeführt, besonders "Das Lebenslicht" und "Der Himmelsschlüssel". "Der Himmelsschlüssel", 1930 erschienen, wurde von 31 bis 33 an drei Bühnen aufgeführt, und hätte wahrscheinlich einen erheblichen Erfolg gehabt, wären die Nazis nicht an die Regierung gekommen.
Da die Geschehnisse in meinen Stücken sich aus der Ideenwelt des deutschen Märchens und deutschen Volksmunds aufbauen, finden sie im Ausland keinen Anklang. Seit meiner Auswanderung hatte ich also keine Gelegenheit, meine schriftstellerische Tätgigkeit auszuüben. Meine Einnahmen sind daher weggefallen, außer von einer Serie von Aufführungen des "Neugierigen Sternleins" nach dem Krieg.
Meine Auswanderung wurde betrieben von November 1938 an. Da ich in Straßburg geboren bin, konnte ich auf französischer Quote nach Amerika auswandern, und ich konnte daher schon am 6. Juni 1939 Deutschland verlassen …. (Gesamtkosten inkl. Fahrkarte und Möbelversand 2675,- Mark)
Vor meiner Auswanderung bezahlte ich Reichsfluchtsteuer und in den Jahren 1938 und 1939 die Sonderabgabe für Juden. Meiner Erinnerung nach betrug die letztere ungefähr RM 13.000. Diese Summe entspricht auch ungefähr dem Wert meines Vermögens vor der Abgabe, RM 50.000.
Seit meiner Auswanderung nach Amerika musste mein Lebensunterhalt von meinem Sohn bestritten werden, während ich in Deutschland von meinen Zinsen und sonstigen Einkünften leben könnte."
StABAD A23/45; StAF F 196/1 Nr. 11293