geb. 24.12.1886 in Modlin (Böhmen), gest. 17.08.1942 in Auschwitz

Eltern:

Kirschner, Theres, geb. Hahn
Kirschner, Moritz

Weitere Angehörige:

Geschwister:
Seiler, Ida, geb. Kirschner (gest. 1981 Kötzting)
Kirschner, Helen (gest. 1970 New York)

Beruf:

Finanzbeamter

Adressen:

Kronprinzenstraße 4 (von Würzburg kommend, 1937-1940)

Weiteres Schicksal:

Am 22. Oktober 1940 Deportation nach Gurs, am 17. August 1942 in Auschwitz ermordet

Bild(er):

Albert Kirschner machte im Staatsdienst Karriere: Als er 1909 mit 22 Jahren in die Bayrische Zollverwaltung eintrat und bis zum Zollfinanzrat aufstieg, schien ein Leben in sicheren Bahnen vorgezeichnet.

Nach dem Ersten Weltkrieg wohnte er zunächst in Ludwigshafen, 1921 zog er in das bayrische Kitzingen um. Im gleichen Jahr - am 5. Juli - feierte er Hochzeit mit Renate Goldschmidt und wohnte mit ihr im Zollgebäude am Kitzinger Flugplatz. Bald kamen drei Kinder zur Welt: die beiden Töchter Ingeborg und Margot 1922 und 1923 und fünf Jahre später Nachzügler Manfred. Im Januar 1925 fand die Familie ein neues Zuhause in Würzburg - in einer Dienstwohnung im linken Flügel des Hauptzollamts.
Doch ab 1933 änderte sich Albert Kirschners Leben dramatisch, denn jüdische Beamte waren die ersten Opfer des Antisemitismus der nationalsozialistischen Machthaber. Der sogenannte "Arierparagraph" im "Gesetz zur Wiederherstellung des Beamtentums" vom 7. April 1933 verfügte, dass Beamte "nichtarischer" Abstammung in den Ruhestand zu versetzen seien. Ausnahmen gab es u.a. für Frontkämpfer. So wurde Albert Kirschner, der im Ersten Weltkrieg gedient hatte, trotz seiner jüdischen Abstammung "erst" 1935 entlassen. Der 47-jährige Familienvater musste nun neue Wege für sich und seine Familie finden.

1937 entschied er sich für Baden-Baden. Wie viele Juden hoffte er, in dem internationalen Kurort sicherer zu sein als anderswo in Deutschland. So kaufte er ein Haus in der Kronprinzenstraße, das er mit Frau und Kindern im Juni 1937 bezog. Doch es war eine trügerische Ruhe, spätestens im November 1938 zeigte sich auch in Baden-Baden das wahre Gesicht der Nationalsozialisten. Alle jüdischen Männer der Stadt wurden in einem entwürdigenden Marsch durch die Stadt getrieben und anschließend in der Synagoge gezwungen, aus "Mein Kampf" vorzulesen und das "Horst-Wessel Lied" zu singen. Man ließ nichts aus, die Menschen und ihren Glauben zu entwürdigen, um sie dann in das Konzentrationslager Dachau zu verschleppen.
Seit dem Novemberpogrom lebte die Familie sehr isoliert. Die Kinder konnten nicht mehr in die Schule gehen. Eine christliche Nachbarin, eine ehemalige Lehrerin, unterrichtete die Jugendlichen: Englisch- und Spanischunterricht waren besonders wichtig, denn Sprachkenntnisse waren nötig für den Fall, dass sich eine Auswanderungsmöglichkeit bot. Der Vater bemühte sich nach seiner Rückkehr aus Dachau intensiv um ein Visum für die USA, verkaufte im August 1939 das erst zwei Jahre zuvor erworbene Haus zur Finanzierung der nun dringlich ersehnten Emigration. Mit dem neuen Eigentümer war vereinbart, dass die Familie bis dahin im ersten Stock des Hauses wohnen bleiben konnte.

Doch am Morgen des 22. Oktober 1940 klingelte es an der Haustür. Es war der Tag, an dem die Baden-Badener Juden verhaftet wurden, um nach Frankreich deportiert zu werden. Der damals 12-jährige Sohn Manfred erinnert sich noch genau an den plötzlichen Aufbruch: "Wir hatten nicht mehr als eine Stunde Zeit. Ein Polizist wartete an der Haustür, während wir packten. Mein Vater, der im Anschluss an den Novemberpogrom in Dachau inhaftiert war, gab uns wertvolle Tipps. Es gelang uns, einer Mitbewohnerin im gleichen Haus, zu der wir eine gute Beziehung hatten, ein paar persönliche Dinge zu übergeben. Und dann wurden wir auch schon zu einem Lastwagen geführt. Er fuhr meine Eltern und meine Schwestern zu den verschiedenen Häusern, in denen Juden lebten, um sie abzuholen und sie zum Sammelplatz, der Stadthalle in der Leopoldstraße, zu bringen." Einen Tag später ging es von dort weiter mit dem Zug nach Frankreich und nach mehreren Tagen Fahrt in das Lager Gurs in den Pyrenäen.

Bis März 1941 mussten die Kirschners dort ausharren, dann wurden sie in das sogenannte "Familienlager" Rivesaltes verlegt, in dem für Familien mehr Möglichkeiten bestanden, zusammen zu sein. Ernährung und Hygiene waren aber kaum besser als in Gurs, das Wachpersonal unfreundlich, das wüstenähnliche Klima ungesund.
Am 24. Dezember 1941, an seinem 55. Geburtstag, erhielt Albert Kirschner die Genehmigung, in das Lager Les Milles bei Marseille überzusiedeln. Ein gutes Zeichen: Wer es bis hierhin geschafft hatte, dem lagen die wichtigsten Papiere für die Emigration vor. Nun musste er noch beim amerikanischen Generalkonsulat persönlich vorsprechen. Seine Familie wurde in dieser Zeit des Wartens im Hotel du Levant in Marseille untergebracht. 

Was die Kirschners nicht ahnten: Ab Februar 1942 verbot die Vichy Regierung Juden die Ausreise aus Frankreich und ab 27. März 1942 begannen die Deportationstransporte aus Frankreich in die Vernichtungslager. Im Juli 1942 wurde Manfred Kirschner - inzwischen 14 Jahre alt - mit seinen Schwestern und seiner Mutter in das Lager Les Milles zum Vater gebracht.

Manfred Kirschner konnte in letzter Minute von einer Mitarbeiterin der jüdischen Hilfsorganisation OSE (Organisation de Secours aux Enfants) gerettet werden. Sie überredete die Familie, ihr das jüngste Kind anzuvertrauen. Sie wolle dafür sorgen, dass der Junge drei Monate später in den USA sein würde. Von dort aus könne er dann seiner Familie helfen. "Wenn man Kinder dort hatte - jeder wusste das - war die Auswanderung viel, viel leichter. Wir trennten uns. Nach zwei Jahren harten Leidens ist das viel schwerer, als wenn man 40 Jahre ruhig zusammenlebt", beschrieb Manfred Kirschner diese Situation 1948 in einem Brief an seine Tante.

Aber es war zu spät. Im August 1942 wurden Eltern und Töchter nach Auschwitz deportiert und vermutlich sofort nach ihrer Ankunft ermordet.

Weitere Informationen zur Biographie finden Sie auf folgender externer Webseite:
https://stolpersteine-wuerzburg.de/opfer/?q=572

Quellen/Literatur:

StABAD A23/45; StABAD A5/Meldekarte; StABAD A23/37; StAF F 196/1 Nr. 5706; StAF F 165/1 Nr. 82; HStAS 99/001; Gedenkbuch Bundesarchiv; Briefe von Manfred Kirschner an Angelika Schindler;
Shoa Memorial Paris Albert Kirschner DSCN 2166
https://www.stolpersteine-wuerzburg.de/wer_opfer_lang.php?quelle=wer_opfer.php&opferid=572&filter=K
https://www.historisches-unterfranken.uni-wuerzburg.de/juf/Datenbank/detailsinclude.php?global=;search;25498 (Zugriff: 07.11.2020)
https://koetzting.blogspot.com/2019/11/ (Zugriff: 07.11.2020)
Schindler, Angelika: Der verbrannte Traum. Jüdische Bürger und Gäste in Baden-Baden, Baden-Baden ²2013, S. 234 f.; 256 ff.


Stolperstein in Würzburg Veitshöchheimer Straße 1a