geb. 28.02.1875 in Rohatyn (damals Polen, heute Ukraine), gest. 08.05.1945 in Paris

Ehepartner:

Lieblich, Mathilde, geb. Odenheimer

Kinder:

Dreyfuß, Emma, geb. Lieblich
Manasse, Trude, geb. Lieblich
Rosenthal, Luise, geb. Lieblich

Beruf:

Hotelier

Adressen:

Stephanienstraße 2 (von Karlsruhe kommend, 1901-1940)

Weiteres Schicksal:

Am 22. Oktober 1940 Deportation nach Gurs

Bild(er):

"Ein Hotel ersten Ranges, neu errichtet, vis-a-vis der neuen Synagoge." Im "Israelit", dem zentralen Blatt des orthodoxen Judentums in Deutschland, lockten im Jahr 1900 - ein Jahr nach dem Bau der Baden-Badener Synagoge - mehrere Anzeigen, das neue Hotel Central zu besuchen. Noch war es die Witwe Ferdinand Odenheimers, die als Inhaberin firmierte. Wenig später übernahmen ihre Tochter Mathilde und deren Mann Philipp Lieblich das Hotel mit 29 Zimmern in der Stephanienstraße 2. Der ausschließlich jüdischen Kundschaft wurde eine koschere Küche geboten. Viele jüdische Feste und Hochzeiten wurden im Hotel gefeiert, ein überliefertes Foto dokumentiert die ausgelassene Stimmung beim Purimfest im Hotelgarten.

"Das Hotel Central lag wirklich im Zentrum von Baden-Baden. Die Lieblich-Familie fühlte sich - trotz ihrer Zugehörigkeit zum Judentum - als zentraler Teil des Baden-Badener Lebens. Sie waren stolze Deutsche, stolze Bürger Baden-Badens und stolze Mitglieder der Gemeinde, die die gleichen Loyalitäten gegenüber ihrem Vaterland und die gleichen Vorlieben teilten", fasste Brett Levi, amerikanischer Historiker und Urenkel Philipp Lieblichs, das damalige Lebensgefühl in einem Vortrag 2019 zusammen.

Das Ehepaar hatte drei Töchter: Emmy, Trude und Liesel, die alle drei Klavierunterricht erhielten und bei ihrer Mutter in die Geheimnisse der Haute Cuisine eingeweiht wurden. Alle drei feierten ihre Hochzeit im Hotel Central. Als die jüngste Tochter Liesel 1937 heiratete, konnte ihre Mutter Mathilde Odenheimer nicht mehr dabei sein, sie starb 1936. Ihr Schwiegersohn Theodor Rosenthal vertrat sie in der Küche des Hotels und avancierte bald zum Küchenchef.

Philipp Lieblich, stark zuckerkrank, musste sich ein Bein amputieren lassen, was für den Sport liebenden Hotelier ein schwerer Schlag war. Ein Foto von Anfang 1939 zeigt ihn im Rollstuhl bei einer Spazierfahrt mit Tochter Liesel. Doch er ließ sich nicht entmutigen und nach einiger Zeit kam er mit seiner Prothese erstaunlich gut zurecht.

Am 10. November 1938 wurde Philipp Lieblich völlig überraschend zur Bewirtung seiner Glaubensgenossen gezwungen. An diesem Tag war er unter den 80 jüdischen Männern, die durch die Stadt getrieben wurden und danach in der Synagoge die Entweihung ihres Gotteshauses miterleben mussten, bevor es angezündet wurde. Die Männer schickte man währenddessen in das gegenüber liegende Hotel Central und zwang Philipp Lieblich, ein Essen für alle zu improvisieren. Dort fand sich auch ein höherer SS-Führer ein, um die Anwesenden in einer Ansprache zu schmähen. Später kamen der örtliche Leiter der Gestapo und ein Amtsarzt dazu und bestimmten 52 "Haftfähige", die in das KZ Dachau transportiert wurden. Philipp Lieblich und sein Schwiegersohn Theodor Rosenthal waren unter ihnen und kehrten erst nach ein paar Wochen zurück.

Philipp Lieblich, der im Ersten Weltkrieg gedient hatte und sich vollkommen integriert gefühlt hatte, entschied sich, trotz dieser Ereignisse in "seiner Stadt" zu bleiben, mit der er sich so verbunden fühlte. Noch immer verkannte er die NS-Gefahr, vielleicht auch weil er am 22. März 1939 die Erlaubnis erhielt, das Hotel wieder zu eröffnen. Jetzt kamen vornehmlich jüdische Gäste, die wegen der bevorstehenden Auswanderung ihre Wohnungen bereits aufgegeben hatten und bis zur tatsächlichen Emigration noch eine Unterkunft brauchten. Aber auch Erholungsgäste meldeten sich bei dem Hotelier an. Im Oktober 1940 waren hauptsächlich Juden aus dem Rheinland zu Gast, um hier ein paar Tage in der Zeit des Laubhüttenfestes zu entspannen. Doch am Morgen des 22. Oktober 1940 mussten alle ihre Koffer packen und abreisen, während das Personal - die Hausangestellte Irma Schloss, der Küchenbursche Arthur Ullmann, die Kaffeeköchin Dorothea Eberhard, der Hausdiener Sally Bachrach - und die Gastwirte sowie die Gäste aus Baden festgenommen und in das französische Internierungslager Gurs deportiert wurden.

Was Philipp Lieblich damals nicht ahnen konnte: Kurz nach der Deportation der Baden-Badener Juden wurden ihre Möbel und der Hausrat in der Stadthalle günstig versteigert. Wertvollere Objekte wie Teppiche, Kunst und Musikinstrumente wurden auf Befehl der Polizeidirektion ins Hotel Central gebracht. Für den 4. - 6. Juni 1941 war dort eine Versteigerung angesetzt.
Die Stadt Baden-Baden kaufte am 19. Januar 1942 auf Druck der örtlichen NSDAP das Hotel. Mehrere Ortsgruppen der NSDAP und das Kriegswirtschaftsamt wurden dort untergebracht.

Im Zug nach Gurs im Oktober 1940 saßen sie noch alle beisammen, doch dann trennten sich ihre Wege: Dorothea Eberhard überlebte die harten Bedingungen in dem französischen Internierungslager nicht, Irma Schloss und Arthur Ullmann wurden in Auschwitz ermordet, das weitere Schicksal von Sally Bachrach ist unbekannt. Schwiegersohn Theo Rosenthal wurde in Gurs Küchenchef und bemühte sich verzweifelt, seinen Landsleuten aus dem Wenigen, was an Nahrungsmitteln geliefert wurde, etwas Essbares und halbwegs Nahrhaftes zuzubereiten. Seine Frau gebar an Pessach 1941 in Gurs die Tochter Evelyn. Mit ihnen kam Philipp Lieblich später in das Lager Noé, während sein Schwiegersohn nach Haut Savoyen zum Straßenbau und zur Waldarbeit abkommandiert wurde.

Philipp Lieblich, der noch in Gurs alle mit seinen Witzen bei Laune hielt, wie Theodor Rosenthal in seinem Tagebuch schilderte, starb kurz nach der Befreiung Frankreichs in einem französischen Krankenhaus in Paris am Tag der deutschen Kapitulation, am 8. Mai 1945.

Quellen/Literatur:

StABAD A23/45; StABAD A5/Meldekarte; StAF P 303/4 Nr. 1815; StAF F 165/1 Nr. 131; StAF F 175/1 Nr. 20; HStAS 99/001; Gedenkbuch Bundesarchiv
Schindler, Angelika: Der verbrannte Traum. Jüdische Bürger und Gäste in Baden-Baden, Baden-Baden ²2013, S. 36, 126, 211, 163, 233 ff.

Hier wohnte
PHILIPP LIEBLICH
JG. 1875
DEPORTIERT 1940 GURS
TOT 8.5.1945



Stolperstein Stephanienstraße 2, verlegt am 04.11.2008