geb. 07.10.1897 in Baden-Baden, gest. 08.10.1944 in Eltville (Eichberg)

Beruf:

Handwerker

Adressen:

Höllengasse 7 (1897-1934, nach Achern (Illenau))

Weiteres Schicksal:

Am 8. Oktober 1944 in der Heilanstalt Eichberg ermordet

Bild(er):

Ein Stolperstein für Lilly Reinbold

Ansprache des Neffen Bernhard Reinbold bei der Verlegung des Stolpersteins am 9. September 2015:

"Verehrte Anwesende!

Erlauben Sie mir, dass ich als nachgeborener Angehöriger von Lilly Reinbold, für die wir hier an ihrem Wohn- und Elternhaus, der längst abgerissenen Höllengasse 7, einen Stolperstein verlegen, zu Ihnen spreche. Lilly Reinbold war meine Tante, die Schwester meines Vaters Alexander Reinbold. Lilly Reinbold war ein Opfer der nationalsozialistischen "Euthanasie"-Verbrechen.

"Das Schweigen, das tiefe Verschweigen, besonders, wenn es Tote meint, ist letztlich ein Vakuum, das das Leben irgendwann von selbst mit Wahrheit füllt.", so der Schriftsteller Ralf Rothmann in seinem Buch "Im Frühling sterben", in dem er sich mit dem Verschweigen, mit dem Verdrängen durch die Kriegsgeneration - insbesondere der Väter - literarisch auseinandersetzt. Dieses Verdrängen von Verantwortung und von möglicher Mitschuld, das Verschweigen der Wahrheit angesichts der Naziverbrechen, war in der jungen Bundesrepublik - wie wir wissen - allgemein. Das Bedürfnis zu vergessen und die Scham angesichts des eigenen Mitläufertums - so auch in meiner Familie (zur Wahrheit gehört: Mein Vater war Mitglied der NSDAP) - ließen ein wahrhaftiges Sprechen und ein ehrliches Antworten auf die Fragen der Nachgeborenen nicht zu. Alles über Lilly Reinbold blieb im Vagen, im Halb- oder Unwahren. Diese Verdrängung hat lange nachgewirkt: Erst spät habe ich damit begonnen, die Fakten über ihr Schicksal zusammenzutragen und sie aus der familiären Verdrängung herauszuholen. Erst Götz Alys Buch "Die Belasteten" gab dazu den entscheidenden Impuls.

Alles was in der Familie an Lilly erinnerte, war der Eintrag ihres Geburtsdatums in einem alten Gebetbuch, ein Foto von ihr und ein Totenschein aus Erbach im Rheingau. Entsprechend der Praxis der nationalsozialistischen Krankenmorde war als gefälschte Todesursache bei Lilly Tuberkulose angegeben.

Was wissen wir also über Lilly Reinbold? Lilly wurde am 7. Oktober 1897 als zweites Kind der Dienstbotenfamilie Reinbold geboren. Ihr älterer Bruder Anton kam aus dem Ersten Weltkrieg nicht mehr zurück. Ihr jüngerer Bruder Alexander, mein Vater, 1901 geboren, lernte Autosattler. Während der Zeit des Nationalsozialismus war er als "Gefolgschaftsangehöriger" in der Rüstungsproduktion bei Mercedes-Benz unter anderem in Berlin-Genshagen und gegen Kriegsende in Mosbach-Neckarelz beschäftigt. Und Lilly? Die hatte als junge Frau Schneiderin gelernt. Und als solche - wie man in unserer Familie sagte - "viel für bessere Leut` gearbeitet". Sie hat dabei wohl sehr aufopfernd für das materielle Überleben ihrer bitterarmen Herkunftsfamilie gesorgt. Verschämt nur war lange nach ihrem Tod in unserer Familie davon die Rede, dass sie sich in dieser Zeit eine Geschlechtskrankheit zugezogen hatte.

Im November 1934 begann mit der Einweisung in die Heil- und Pflegeanstalt Illenau in Achern Lillys einsamer Weg durch die Anstalten des Dritten Reiches. Als chronisch kranke Syphilitikerin war sie natürlich von Anfang an im Fokus der in der so genannten "Aktion T 4" geplanten und durchgeführten Ermordung psychisch kranker und behinderter Menschen. Allerdings kam sie zeitgleich mit der ersten Phase der "Aktion T4" - als auch bereits von der Illenau Transporte mit den gefürchteten grauen Bussen in die Tötungsanstalt Grafeneck abgingen - am 3. Oktober 1940 zunächst in die Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen. Vielleicht hat man ja in der Illenau versucht, Kranke durch Überweisung in andere Anstalten der systematischen Ermordung in den Tötungsanstalten zu entziehen oder Zeit zu gewinnen. Wir können heute darüber nur spekulieren. Fakt ist: Lilly blieb bis zum 12. Juni 1944 in Emmendingen, ehe sie in die berüchtigte "Zwischenanstalt Eichberg" bei Eltville im Rheingau überstellt wurde. Die damalige Landesheilanstalt Eichberg gehörte bis 1945 zu den Krankenmordanstalten des Dritten Reiches. Das Todesdatum von Lilly Reinbold ist der 8. Oktober 1944. Sie gehört damit - wie es heute auf einer Gedenktafel auf dem Eichberg zu lesen ist - "zu den vielen Patienten und Patientinnen, die zwischen 1942 und 1945 durch Unterernährung und überdosierte Medikamente gewaltsam zu Tode kamen". Soweit zu dem, was wir über Lillys so entsetzlich trauriges Leben und Sterben wissen.

Aber was bedeutet dieses Wissen für uns Nachgeborene? Was bedeutet das Wissen um die "Euthanasie"-Verbrechen"? Da mag für das Heute - über das selbstverständliche "Nie wieder!" hinaus - jeder seine eigenen Schlüsse ziehen. Für uns nachgeborene Angehörige jedenfalls bedeutet dieses Wissen in erster Linie Trauer und Scham zuzulassen und dem Vergessen von Lilly entgegen zu wirken.

"Du sollst nicht vergessen sein!"

Lasst uns in diesem Sinne Lilly Reinbold gedenken."

Quellen/Literatur:

StABAD A5/Meldekarte

Hier wohnte
LILLY REINBOLD
JG. 1897
SEIT 1934 VERSCHIEDENE HEIL-ANSTALTEN
"VERLEGT" 12.6.1944 HEILANSTALT EICHBERG
ERMORDET 8.10.1944.

Stolperstein Höllengasse 7, verlegt am 09.09.2015