geb. 27.01.1880 in Mülhausen (Elsass), gest. 15.02.1942 in Récébédou

Eltern:

Goldstein, Marie, geb. Mayer (gest. 1914 Mühlhausen)
Goldstein, Abraham

Weitere Angehörige:

Bruder:
Goldstein, Max

Adressen:

Kaiserallee 4 (aus Kreis Harburg kommend, 1918)
Große Dollenstraße 31

Weiteres Schicksal:

22. Oktober 1940 Deportation nach Gurs

Siegfried Goldstein wurde 1880 in Mulhouse im Elsass geboren. Sein Vater stammte aus Westfalen und kam als Soldat nach dem Krieg 1870/71 in das vom Deutschen Reich annektierte Mülhausen, wo er sich als Kaufmann niederließ. Seine Mutter stammte aus Müllheim in Baden.

Nach der Niederlage des Deutschen Reiches 1918 wurde das Elsass wieder französisch. Wie viele Deutsche, die sich im Elsass nach 1871 niedergelassen hatten, wurde auch die Familie Goldstein ausgewiesen, unter Verlust ihres Vermögens. Nach Siegfried Goldstein hatten die jüdischen Einwohner in Mulhouse, überwiegend nach Frankreich orientiert, aus Missgunst auf den wirtschaftlichen Erfolg und wegen seiner betont deutsch-national Einstellung auf seine Ausweisung gedrängt. Die Bindung an das Judentum dürfte sowohl beim Vater wie bei Siegfried Goldstein nicht allzu eng gewesen sein. Sein Vater heiratete nach dem Tod seiner Frau eine Nichtjüdin, ebenso sein Sohn, dessen Ehe mit der Scheidung endete.

Schon 1915 war Siegfried Goldstein in Schwierigkeiten geraten. Er meldete sich, so seine eigene Aussage, als Freiwilliger zum Militär, habe als Jude jedoch zahlreichen Anfeindungen erfahren, so dass er seine Einheit in Berlin verließ. In einem Verfahren wegen Desertion blieb er allerdings straffrei, weil ihm ein ärztliches Gutachten Schuldunfähigkeit bestätigte.

Siegfried Goldstein fand nach 1918 in Hamburg Arbeit, zuerst in der kommunalen Verwaltung, dann in einem Industrieunternehmen. Nach einer Erkrankung verlor er 1929 seine Stellung, lebte danach von einer kümmerlichen Rente. Spätestens damit begann sein unstetes Leben mit meist kurzen Aufenthalten in kleineren Orten, in denen sich Goldstein, stets in materieller Not, eine Zeitlang niederließ, als zahlender Gast auch in nichtjüdischen Haushalten. Oft blieb er die Pensionskosten schuldig und musste das Weite suchen. Seiner Beteuerung nach waren es immer nur geringe Beträge, die er unbezahlt ließ, er habe sie aber oft wieder bezahlen können, wenn er seine Rente erhielt. Eine Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe änderte an seinem Verhalten nichts.

1937 kam Siegfried Goldstein nach Baden-Baden, in der Hoffnung, in einer Stadt mit internationalem Publikum leichter die Verfolgung der jüdischen Einwohner in Deutschland überleben zu können. Wieder mietete er sich bei Privatleuten ein, wieder blieb er Kost und Logis schuldig. Im November des Jahres fand er in Bühl bei einer jüdischen Frau Unterkunft, bei der gleichaltrigen Melanie Wertheimer, die er später als seine Verlobte bezeichnete. Wegen schuldig gebliebener Unterkunftskosten in einem Gasthof in Steinbach (zwischen Baden-Baden und Bühl) kam er in Untersuchungshaft ins Bühler Gefängnis. Es gelang ihm, sich als von übersinnlichen Gefahren Verfolgter darzustellen, so dass er die Einweisung in die Heilanstalt Illenau in Achern zur Untersuchung seines Geisteszustands erreichte.

Nach fast vier Wochen Beobachtung und Untersuchung kam der für ihn verantwortliche Arzt zum Ergebnis: Siegfried Goldstein neige zur Hochstapelei und sei ein raffinierter Betrüger (Das räumte Goldstein selbst ein, begründete sein Verhalten aber mit seiner dauernden Notlage). Auf seine Beteuerung, ein überzeugter Nazi zu sein, ging der Arzt nicht ein. Auf der anderen Seite sei es möglich, so der Arzt, dass Goldstein manchmal durchaus die Kontrolle über sein Verhalten verliere. Das Gutachten des Arztes führte wohl zur Einstellung des Verfahrens, so dass Goldstein wieder nach Bühl zurückkehren konnte. In der folgenden Auseinandersetzung mit dem dortigen Bürgermeister über sein Aufenthaltsrecht in Bühl ging Goldstein bis zum Innenministerium, das zu seinen Gunsten entschied.

Erneut folgte im Oktober 1938 seine Verhaftung. Laut Presseberichten hatte er in der Baden-Badischen Spielbankzeitung für ein "sicheres" Roulette-Spielsystem geworben und gegen eine Beteiligung von bis zu 250 Mark hohe Gewinne versprochen. Anders als die anderen jüdischen Männer in Bühl wurde er deshalb nach dem Novemberpogrom 1938 nicht nach Dachau gebracht - er saß zu dieser Zeit in Untersuchungshaft. Im März 1939 wurde er als Rückfallbetrüger zu über sieben Monaten Gefängnis verurteilt.

Aus diesem Jahr sind Briefe überliefert, in denen er sich mit dem Bühler Bürgermeister darüber stritt, ob die Stadt Bühl das Haus von Melanie Wertheimer erwerben könne. Offensichtlich lebte er wieder bei Melanie Wertheimer, bis er schließlich wie andere jüdische Männer, Frauen und Kinder in der "Oktoberdeportation" 1940 nach Gurs im Südwesten Frankreichs deportiert wurde. Unter den Lebensverhältnissen der Lagerhaft, an Hunger, Krankheit, Hoffnungslosigkeit, gingen viele zugrunde, bevor für Tausende der in Südfrankreich Inhaftierten im Sommer 1942 die Transporte ins Vernichtungslager Auschwitz begannen. Siegfried Goldstein war bereits am 15. Februar des Jahres im Nebenlager Récébédou gestorben.

Dr. Günther Mohr


Sigfried Golstein hatte Ende August 1937 von Baden-Baden aus die Ausstellung eines Reisepasses in die Schweiz beantragt. Anlass war seine Wunsch, an einer "Schwarzwaldhöhenfahrt" teilzunehmen, die auch Ausflüge nach Zürich und den Vierwaldstätter See im Programm hatte:

"30.08.1937
An den Herrn Polizeidirektor oder dessen Herrn Stellvertreter, Baden-Baden.

Dieser Tage erhielt ich, Unterzeichneter, ein Schreiben der Polizeidirektion Baden-Baden, Abt. Passamt, durch welches ich ersucht wurde, betr. meiner Pass-Angelegenheit im Zimmer 6 vorzusprechen. Ich hatte vor etwa drei Wochen einen Reisepass für einen kurzen Aufenthalt in der Schweiz beantragt. Als ich heute am Schalter dort vorsprach, wurde mir eröffnet, dass ich einen Auslandspass nicht erhalten könne. Auf meine Frage bezüglich des Grundes dieser Ablehnung, wurde mir erwidert, der Grund könne mir nicht mitgeteilt werden. Schließlich wurde ich noch einmal auf kommenden Freitag bestellt, damit die Angelegenheit nochmals in Erwägung gezogen werden könne. Ich bin im Übrigen überzeugt, dass der mich abfertigende Beamte korrekt und auftragsgemäß gehandelt hat; da mir jedoch der Grund der Ablehnung vorenthalten wurde und ich mir auch beim besten Willen keinen stichhaltigen Grund (was meine Person anbetrifft) denken kann, nehme ich doch Veranlassung, folgendes darzulegen: Ich bin der Sohn des voriges Jahr in Krefeld verstorbenen deutschen Altveteranen (1866 und 1870/71) Abraham Goldstein und der während der Straßenkämpfe in Mülhausen 1914 verstorbenen Marie, geb. Mayer, einer gebürtigen Müllheimerin (Baden). Mein Vater, geborener Preuße, marschierte als Feldwebel in der Besatzungsarmee (Infanterie-Regiment 17, Celle) 1871 in Mülhausen im Elsass ein, blieb dort und heiratete dort eine Badenserin. Lange Jahre war mein Vater im Vorstand des deutschen Kriegervereins Mülhausen und wurde 1918, 24 Stunden nach dem Einmarsch der Franzosen in Mülhausen nebst seinen drei Söhnen, darunter auch ich, aus dem Elsass ausgewiesen, seiner bekannt deutschen Gesinnung halber. Unser Gesamtvermögen im Wert von über einer Viertelmillion Mark, wurde seitens der Franzosen bis auf den letzten Heller auf Reparationskonto beschlagnahmt. Ich selbst war längere Jahre nach dem Kriege Behördenangestellter beim Versorgungsamt I Hamburg. Im Jahre 1929 wurde ich gänzlich erwerbsunfähig und beziehe seither Ruhegeld aus der Reichsversicherung für Angestellte, Berlin. Wir haben demnach durchaus keine Ursache und Veranlassung mit dem Ausland, am allerwenigsten mit Frankreich zu sympathisieren. Meine Familie, in der Hauptsache eine Beamten- und Gelehrtenfamilie, hat sich politisch nie betätigt, weder vor dem dritten Reich, noch nachher. Mein Vater hat es stets abgelehnt, sich als Elsässer zu naturalisieren, und auch seine Kinder haben dies getan. Ein Bruder meiner Mutter, der vor einigen Jahren in Karlsruhe verstorbene Badische Wirklich Geheime Oberregierungsrat Dr. David Mayer, Ritter des Zähringer Löwen- und Hausordens, wurde seiner vaterländischen Gesinnung halber von seiner Königlichen Hoheit Großherzog Friedrich von Baden bei jeder Gelegenheit ausgezeichnet und sehr oft zur Tafel gezogen. Mein Vater war als Feldwebel im Krieg 1870/71 längere Zeit persönlicher Kurier Seiner Kaiserlichen Hoheit des Prinzen Friedrich Karl von Preußen. Ich selbst habe mich je weder politisch betätigt, noch einer Partei angehört und meinem deutschen Vaterland gedient, wo und bei welcher Gelegenheit ich konnte. Den Beweis hierfür kann ich erbringen. Dafür, dass ich Jude bin, kann ich nichts, mein Vater war es auch. Und es wäre den Tatsachen nicht entsprechend, alle Juden unter einen Kamm zu scheren. Es gibt auch treudeutsche Juden, auch wenn sie von anderer Rasse sind. Um mich nicht noch einmal der Beschämung auszusetzen – denn ich als Sohn eines altdeutschen Veteranen empfinde das es Beschämung, an einem öffentlichen Schalter in Gegenwart von fremdem Publikum meinen Reisepass verweigert zu bekommen, bitte ich höflichst, mir, bevor ich mich am kommenden Freitag an den öffentlichen Schalter begebe, mir mitteilen zu wollen, ob mein Ersuchen um einen kurzfristigen Auslandspass entsprochen werden wird. Eine Antwortkarte füge ich nochmals bei."

Aus Krefeld, einem früheren Aufenthaltsort Goldsteins, wurden staatspolizeiliche Bedenken gegen die Erteilung eines Reisepasses laut. Er unterhalte einen häufigen Briefwechsel mit dem Ausland, äußerte abfällige Bemerkungen über den Führer, sei Anhänger der SPD gewesen und habe immer noch Kontakte zu einem politischen Emigranten in Frankreich. Da er selbst den Kurzaufenthalt in der Schweiz dazu nutzen könne, "im Ausland staatsfeindliche Propaganda" zu betreiben, empfahl die Polizeidirektion Krefeld die Versagung der Reise. Die Entscheidung des Baden-Badener Passamts ist nicht bekannt.

Dr. Günther Mohr

Foto: France - Archives départementales des Pyrénées-Atlantiques - Site de Pau - 72 W 188 Sigfried GOLDSTEIN

Quellen/Literatur:

StABAD A23/41; StABAD A7/25StABAD A5/Meldekarte; StAF B 821/2 Nr. 6968; STAF 200/7 Nr. 505; STAF B 535/2 Nr.1562; StGI Bühl/Meldekarte; StGI Familienbuch; StGI Bühl alt Nr. 6968; MARCHIVUM/Meldekarte; Dokumentation MARCHIVUM, AZ 25.60.51/8/2021; "Der Führer", 8. Dez.1937, 2. März 1939; Archives départementales des Pyrénées-Atlantiques 72 W 328;